Regensburg - Budapest
Regensburg - Budapest, 24.08 bis 02.09.2015
Für mich stand fest: Dieses Jahr muss ich noch eine etwas größere Reise mit dem Rad machen. Aber nicht alleine. Also habe ich mal bei der Mitradelzentrale des ADFC nachgesehen. Und siehe da: Jemand sucht einen Mitradler für die Strecke Regensburg - Budapest. In beiden Städten war ich noch nicht. So ergreife ich die Chance und im August wird umgesetzt, was mit ein paar E-Mails anfing.
Allgemeine Angaben
Anreise am 23.08.2015, Treffpunkt Campingplatz "Azur Camping", Regensburg.Gesamt-Kilometer: 1.013,5 km mit dem Tern Link C7 (Das kleine Weiße).
Etappen
Tag | Etappe | Entfernung |
---|---|---|
Tag 1, 24.08.2015 | Regensburg – Nesslbach | 125,33 km |
Tag 2, 25.08.2015 | Nesslbach – Fall (Österreich) | 124,72 km |
Tag 3, 26.08.2015 | Fall – Marbach an der Donau | 128,90 km |
Tag 4, 27.08.2015 | Marbach an der Donau – Klosterneuburg | 124,28 km |
Tag 5, 28.08.2015 | Klosterneuburg – Petronellum Carnuntum | 67,59 km (+ 29,33 km) |
Tag 6, 29.08.2015 | Petronellum Carnuntum – Györ | 114,07 km |
Tag 7, 30.08.2015 | Györ – Esztergom | 119,89 km |
Tag 8, 31.08.2015 | Esztergom – Budapest | 97,36 km |
Tag 9, 01.09.2015 | Budapest – Esztergom / Györ | 82,06 km |
Tag 1: Von Regensburg nach Nesslbach
Der Tag beginnt früh. 08:00 Uhr sind die Räder gepackt. Es ist bedeckt, ein paar Tropfen fallen vom Himmel. Na das geht ja gut los. Wohl nicht die einzige Überraschung an diesem Tag. Kurz zum „Netto“, Kraft für den Tag tanken. Es gibt ein deftiges Frühstück, zum Mittag was Fettiges. Das wird sich noch auszahlen.
Danach geht es auf den Radweg. Ich brauche ein wenig, bis alles passt: Regenhose aus, Vorbau vom kleinen weißen Faltrad weg, Sattel verstellen. Irgendwann habe ich es. Ich bin voll die Behinderung der Tour. Doch meinem Knie tut das augenscheinlich erst mal gut. Wir spulen Kilometer um Kilometer ab und erreichen Straubing gegen Mittag. In der Fußgängerzone lassen wir uns nieder und genießen erst einmal unser Mahl. Danach noch eben zum „Aldi“. Es gibt für jeden ein Bier. Zisch und weg. Gut, dass es nur 30°C warm ist. Das mitgeführte Wasser ist in Nullkommanichts weg. An einer Tankstelle kann nachgefüllt werden. Ich decke mich immer wieder mit irgendwelchen Aktiv-Drinks ein. Wirkung? Nicht vorhanden.
Auf der Suche nach einem Radler (in dem Falle dem Getränk) finden wir den einzigen Gasthof in der Gegend. Wir kehren ein, trinken, essen eine Portion Pommes und Leberkäs mit warmem Kartoffelsalat. Der Himmel verdunkelt sich. Meine Prognose, dass sich das Wolkenfeld verzieht, stimmt nicht ganz. Mit fettem Sonnenbrand liege ich bei Gewitter und Sturm im Zelt und kann irgendwie nicht schlafen. Komisch, wenn man das Gefühl hat, dass das Zelt abhebt.
Tag 2: Von Nesslbach nach Fall (Österreich)
Kurz nach halb sieben klingelt der Wecker – komisch, an manchen Arbeitstagen schaffe ich das nicht. Also der Wecker klingelt schon, aber meist hapert es am Aufstehen.
Es ist bedeckt, es tröpfelt. Die Nacht war unruhig. Duschen, Zelt zusammenpacken. Juhu – alles nass. Welch ein Traum. Regenklamotten an und ab zum örtlichen Supermarkt. Heute wird ein wenig leichter gefrühstückt. Man lernt ja doch dazu :-). Wir fahren los. Regenhose an, Regenhose aus. Irgendwie will das alles nicht so richtig passen heute. Es ist warm. Aber nicht so sehr. Weste an. Irgendwann habe auch ich dann mein Radoutfit für den Tag gefunden. Wir ziehen bis Passau. Leicht verregnet.
Hinter Passau passieren wir die österreichische Grenze. Was ich sagen? Spektakulär unspektakulär. Ein Pfosten auf dem großartig asphaltierten Weg kennzeichnet den Übertritt. Hätten die nicht plötzlich andere Kennzeichen an den Autos gehabt, ich hätte es vielleicht gar nicht bemerkt, dass wir in einem anderen Land sind. An einer perfekt hergerichteten Fahrradstation machen wir Halt. Und essen. Anschließend setzen wir einmal mit der Fähre über die Donau. Dann geht es immer an der Donau entlang zum nächsten Campingplatz. Ha, Campingplatz. Ein Heuriger mit Wiese. Aber genial!
Zunächst ist der Platz leer. Nach einem Radler wird der Platz von einer Familie nebst quirligen Knaben belebt. Dazu ein einzelner Herr, der uns später nochmal begegnen soll. Heute Abend wird dann gekocht. Es ist sehr gemütlich: Tolles Wetter, Camping unter Obstbäumen. Das ist genau das, was man auf solch einer Reise sucht – und leider nur viel zu selten bekommt. Es klart auf. Dafür wird es in der Nacht – sorry, für den Ausdruck – sau kalt. Hose an, Pulli an. Die Luftmatratze knirscht wie blöd. Wenn ich unruhig bin, drehe ich mich von links auf den Rücken, nach rechts und wieder zurück. Herrlich, dass jeder um mich herum meinen unruhigen Schlaf mitbekommt. Aber wie heißt es so schön? Problem anderer Leute! Ich kann ja schlafen … :-)
Tag 3: Von Fall nach Marbach an der Donau
Früh morgens rollen wir los. Gut, dass auf den Radler Campingplätzen alles im Vorfeld bezahlt wird. So kann man in aller Ruhe starten – und zwar wann man will. Um uns herum schläft noch alles. Wir packen zusammen und ziehen los. In Richtung Linz.
Der Weg nach Linz führt ein Stück über eine verkehrsreiche Straße. Fühle mich im einsetzenden Berufsverkehr ein wenig unwohl. Aber irgendwann erreichen wir das Zentrum von Linz. Eine nette Stadt. Wir frühstücken beim Bäcker. Müsli-Joghurt, Croissant mit Schinken und Käse und ein Verlängerter. Macht dann auch verlängerte 8 Euro. Stilecht frühstücken wir an einer Straßenbahnhaltestelle. Dann ziehen wir noch etwas durch die Stadt. Der Radweg raus aus Linz ist sprichwörtlich der Hammer. Das Wetter auch. Kein Vergleich mit dem Vortag. Kurz vor dem Ziel kaufe ich bei einem Fahrradladen – der witzigerweise meinen Namen trägt – Öl für meine Kleine.
Dann müssen wir einen Schlenker durch die Pampa drehen, weil am Radweg gebaut wird. Dann kommt ein Stück, das zieht sich wie Kaugummi. Und dann das, was man keinem Radfahrer wünscht: Den angepeilten Campingplatz gibt es nicht mehr *grummel*. Die Leute im Ort können auch nicht wirklich helfen. Hilft nix. Über die Brücke und ca. 6 km wieder zurück. Ziel: Marbach. Auf dem Campingplatz angekommen, sieht man endlich auch mal ein paar junge Radfahrer in Grüppchen, juhu. Zelt aufbauen, duschen, Bier suchen. Wir bleiben bei einer griechischen Seebrückenkneipe hängen. Keine 200 m vom Campingplatz entfernt. Erst jeder ein Bier, dann jeder noch ein Bier. Und Pita mit Pommes. Heute wird nicht gekocht. Wir sitzen, bis es dunkel wird. Dann fallen wir zufrieden ins Bett.
Tag 4: Von Marbach an der Donau nach Klosterneuburg
Wir sind wieder recht früh dran heute und frühstücken in Emmersdorf bei einem urigen kleinen Bäcker.
Der Ort hat etwas sehr Mediterranes. Weiter geht es durch das Weinbaugebiet der Wachau. Überall am Wegesrand hängen die Trauben und laden zum Naschen ein.
Eine Gruppe geführter Radfahrer schaut etwas verdutzt, als zunächst das vollbepackte Tourenrad vorbeizieht, gefolgt von einem kleinen weißen Faltrad. Wir erreichen Klosterneuburg recht zeitig bei recht hohen Temperaturen. Der Weg war unbeschwert und schön. Vorrangig auf asphaltierten Wegen inmitten der Weinberge. Wir haben die Chance, das Städtchen vor den Toren Wiens zu erkunden. Was wir dann auch getan haben. Ein paar Bierchen, ein Sandwich im Klostergarten. Das ist sowas von gemütlich. Mit einer Pizza unterm Arm geht es zurück auf den Campingplatz. Dann ab auf die Matratze.
Tag 5: Von Klosterneuburg nach Petronellum Carnuntum
Am frühen Morgen radeln wir in einem Affenzahn nach Wien. Kein Wunder: Gepäck fehlt. Ab in die City und bei irgendeinem Bäcker frühstücken. Das Wetter spielt mit. War eben noch bedeckt, wird es jetzt schönstes Wetter. Wir ziehen durch Wien. Betrachten gemeinsam mit Milliarden von Chinesen die Prachtbauten.
Dann versuchen wir den Prater zu finden, scheitern und fahren zurück zum Campingplatz. Was mich positiv stimmt? Nach Tagen des Schmerzes im rechten Knie, scheint es aufgrund der Pause heute besser zu werden. Auf dem Campingplatz begegnen wir dem einsamen Herrn aus Fall. Er stammt aus Straßburg. Mit seinem Gespann hat er sein Ziel bereits erreicht – wir noch nicht ganz.
Wir machen uns am frühen Nachmittag auf den Weg. Nach Wien erwartet uns das wohl gruseligste Stück: 18 km stur geradeaus. Auf einem Damm. Mein Mitradler meinte nach 5 km, dass wir die Hälfte wohl geschafft haben. Um etwaiger Demotivation vorzubeugen, halte ich mal meine Klappe. Irgendwann hat aber auch das ein Ende und wir werden mit einer schönen Brücke und einem genialen Ausblick belohnt. Einzig das Navi sucht uns nun den kürzesten Weg nach Petronellum: über einen Feldweg. Freude pur bei dieser Hitze.
Am Campingplatz angekommen…nunja…Campingplatz: Tennishalle mit Wiese. Ein älterer Herr empfängt uns mit: „Schauen Sie da, Bienenbeißer.“ Kurz darauf: „Schauen Sie da, Fledermäuse. Es ist noch so hell, das gibt es doch gar nicht…“ Der ältere Herr drückt mir das Fernglas in die Hand. Ich suche wie bekloppt, er hat seinen Spaß. Gönnen wir ihm das.
Beim Bezahlen zeigt sich ein eher trauriges Bild. So eine geniale Küche, so eine tolle Theke. Alles verfällt. Am Abend tauchen dann noch zwei Mädels auf. Sie haben voll beladene Rucksäcke bei sich. Wir rätseln, wie sie wohl hergekommen sein mögen und haben höchsten Respekt vor Wanderern. Es stellt sich jedoch heraus: Sie sind ein kleines Stück gelaufen, den Rest hat blabla-car erledigt. Was für Blender?!
Tag 6: Von Petronellum Carnuntum nach Györ
Der Tag beginnt wie immer recht früh. Wir sind wohl vor allen anderen wach. Zumindest kann ich mich nicht mehr an andere erinnern. Die großzügige Herrenumkleide inklusive Dusche habe ich ganz für mich alleine. Vor dem „Campingplatz“ hat sich noch ein Wohnwagen-Gespann breit gemacht. Auch ein genialer Platz – muss man mögen, VOR einem Campingplatz zu campieren.
Wir starten in den nächst gelegenen und letzten Ort vor der österreichisch-slowakischen Grenze. Dort finden wir ein Café. Gott sind die feinen Damen des Ortes pikiert, als sie uns sehen. Keine Angst: Gibt eh nur Kuchen – wir brauchen was Richtiges. Dennoch gibt es auch hier nette Menschen, von denen uns einer den Weg zum örtlichen Supermarkt zeigt. Gut gestärkt geht es weiter.
Bald kommt auch schon die Grenze. Diese ist deutlich besser zu erkennen als die deutsch-österreichische Grenze. Sozialismus, wir kommen! Kurz vor der Grenze zeigt sich auch schon die Betonburg von Bratislava. Ist das schrecklich (persönliche Meinung!). Die ganze Stadt scheint nicht großartig anders zu sein. Die Fahrradwege sind teils super, manchmal muss man die Schilder aber auch mit der Lupe suchen und das Rad über irgendwelche Hügellandschaften schieben. Aber wir haben tolles Wetter. Das entschädigt. Dieses schöne Wetter bekommen wir in voller Schönheit zu spüren, als wir die Stadt verlassen. Es ist Samstagmittag. Man hat eine alte Landstraße genommen, ein Radwege-Schild drauf gezimmert und fertig ist der Radweg. Die nächsten 8 km kein Entkommen. Die alte Landstraße hat uns fest im Griff.
Kurze Zeit später folgt die ungarische Grenze. Im ersten Ort suche ich nach einem Geldautomaten. Witziges Teil: eine Art Mini-Telefonzelle mit Geldautomat. Es ist brütend heiß in dem Kasten. Ich ziehe 9.000 Forint aus dem Automaten. 9.000 – was für eine Zahl. Wie viel sind das doch gleich in Euro? Hm, 30 ungefähr. Im örtlichen Supermarkt erstehen wir noch ein Eis und etwas zu Trinken. Kurz bevor der Markt schließt. Gemütlich lutschen wir anschließend an unserem Eis, als plötzlich eine der Verkäuferinnen auf uns zukommt und für mich unverständliche Worte von sich gibt. Mein Mitradler hatte seinen Schlüssel an der Kasse liegen lassen. Wie gut, dass es aufmerksame Menschen gibt, denn sonst hätten wir vergeblich vor den zusammengeschlossenen Rädern gestanden – bei 35° im Schatten. Wir steigen wieder auf, dümpeln durchs Land. Es wird immer uriger. Beinahe wie zu DDR-Zeiten. Vieles ist exakt so, wie ich es noch von früher kenne. So wird dies wohl auch eine Reise der Erinnerungen. Die Strecke soll sich heute noch ein wenig ziehen. Wir fahren – mangels Alternative – bis nach Györ. Der Campingplatz – jaha, damit haben wir es in letzter Zeit – also die umgebaute Gartenanlage eines Wohnhauses mitten in der Stadt, erreichen wir so gegen 16:00 Uhr.
Der Gastwirt spricht Deutsch. Das ist schon mal gut. Dann ab zum Coop und Radler holen. Wir genießen das Wetter auf einer Wiese. Dann ziehen wir noch durch die Innenstadt von Györ. Doch was ist das? Eine Bühne? Eine Bühne! Cool! Einmal quer durch die Stadt – noch eine Bühne. Hier spielt wohl gerade der ungarische „Eros Ramazotti“-Verschnitt.
Wir hören kurz zu und bewegen uns dann in Richtung eines etwas größeren Supermarktes. Etwa eineinhalb Stunden später gehen wir durch die Stadt zurück. Diese ist mittlerweile sowas von voll. Alle Menschen sind gut gekleidet und schauen uns irgendwie die ganze Zeit ein wenig komisch an. Keine Ahnung, was genau wir an uns haben – es scheinen aber die Radklamotten zu sein. Der ungarische Eros gibt noch Vollgas, hört kurze Zeit später jedoch auf. Wir landen an einer Eisdiele. Es gibt nicht nur Eis, sondern auch ein paar französische Klänge.
Menschen tanzen auf der Straße und haben sichtlich großen Spaß dabei, während andere teilnahmslos neben der Beschallung ihren Eisbecher verdrücken. Weiter in Richtung Hauptbühne tut sich auch etwas. Merkwürdig anmutende Herren treten auf. Der Hauptakteur kann offensichtlich Deutsch. Zumindest stellt es sich neben der ganzen Audi-Werbung so dar. Der Schlagzeuger scheint irgendein Problem mit seiner Lippe zu haben – und mit der Hitze. So wie es sich darstellt, trägt er keine Hose. Naja, muss man mögen. Die Musik? Geht so! Was zum Mitwippen, was wohl auch die ca. 10 bis 15.000 Menschen auf dem Platz tun. Später stellt sich heraus, dass es sich bei der merkwürdigen Herren-Combo um die Saragossa-Band handelt. Ein wenig vom Tag erschöpft, treten wir den geordneten Rückzug in Richtung Campingplatz an und fallen in die Schlafsäcke – warum ich den Schlafsack überhaupt ausgepackt habe, weiß ich bis heute nicht, denn es hatte nachts noch gut über 20°. Ein Glück für mich, dass ich nicht sofort einschlafen kann: es läuft klassische Musik und kurze Zeit später startet das Feuerwerk. Ein Feuerwerk, das einen an einen mittelschweren Krieg erinnern könnte.
Tag 7: Von Györ nach Esztergom
Wer hätte es gedacht?! Wir starten recht früh. Ist auch besser so. Die Duschen und die Örtlichkeiten haben nur einen Lamellen-Verschlag als Tür. Man kann raus schauen, aber nicht rein. Trotzdem hört man alles – das macht manche Geschäfte nicht leichter. Wir planen heute bis „kurz“ vor Budapest zu radeln. Wobei kurz in dem Kontext durchaus relativ zu sehen ist. Ein Campingplatz vor Esztergom ist das Ziel, doch den gibt es nicht mehr, wie sich später herausstellen soll. Ein älteres Paar begegnet uns heute immer wieder.
Wir fahren mit ihnen zusammen aus der Stadt. Zunächst beeindruckt uns das riesige Audi-Werk. Kurz danach suchen wir halbwegs verzweifelt nach dem Weg. Ein Einheimischer spricht mich an – ich verstehe ihn doch aber leider nicht. Mein Mitradler hingegen schon und er sucht uns mit seiner Hilfe den richtigen Weg. Dann geht es ab durch die Pampa.
Gegen Mittag wird es dann wirklich Pampa. Irgendeine Abbiegung müssen wir verpasst haben. Wir stehen auf dem Feld. Am Ende des Feldes: Wald. Kein Ausweg. 40°, kein Schatten. Es läuft. Umdrehen, zurück. Irgendwie finden wir dann doch wieder auf den richtigen Pfad zurück und essen an einer Kirche im Niemandsland unsere letzten Reserven. Dann ab zum Campingplatz. Bis Esztergom müssen wir noch ein ordentliches Stück auf einer recht viel befahrenen Straße zurücklegen. Die Kathedrale begleitet uns die letzten Kilometer. Wir sehen sie, aber sie will weder größer werden noch, näher kommen.
Es zieht sich. Dann irren wir durch die Stadt und finden irgendwann zu unserem Campingplatz. Diesmal ist es ein richtiger und er hört auf den Namen „Grand Camping“. Die Maßstäbe sind hier jedoch ein wenig anders. Ich glaube, ich habe noch nie so eine enge Örtlichkeit benutzt. Man achte darauf, dass man gleich richtig herum hereingeht, denn an Umdrehen ist nicht zu denken. Die Duschen gehen. Hätte ich doch aber nur Schlappen dabei. In einem Biergarten lassen wir uns nieder und trinken ein dunkles Bier. Dann ziehen wir noch etwas durch die Stadt – um noch ein Bier zu trinken. Heute Abend wird nochmal gekocht. Die letzten Vorräte müssen weg. Wir wollen ja schließlich nichts mit zurücknehmen.
Tag 8: Von Esztergom nach Budapest
Laut Berechnungen dürften es heute noch circa 50 km bis zum Ziel sein. Entsprechend spät brechen wir auf, denn wir frühstücken heute ausgiebig. Gegen 11 Uhr geht es raus aus dem schönen Ort. Zunächst ein Stück über eine Straße, dann runter an die Donau.
Wir sehen noch, wie die Fähre am anderen Ufer anlegt. Dann dürfen wir geschlagene 50 Minuten warten, bis sie wieder zurückkommt und uns mitnimmt. Die Strecke nach Budapest zieht sich und zieht sich. Dann folgt noch eine Fähre – wieder zurück auf die andere Seite der Donau. Wir hacken über Stock und Stein – irgendwie hat mein Mitradler es eilig.
Und ja, es passiert, was passieren musste: hinten rum wird mein Fahrrad ein wenig schwammig. Das Abrutschen mit dem Hinterrad an einem scharfkantigen Stein war wohl nicht so optimal. Aufpumpen hilft nur bedingt – also für 200 Meter. Also Gepäck runter, Schlauch austauschen. Unsere Wege trennen sich hier, denn ich verabschiede meinen Mitradler, damit er pünktlich zur Verabredung nach Budapest kommt. Ich lasse mich dann vom Navi zum Campingplatz leiten. Sind ja von jetzt ab nur noch 30 Kilometer. Puh. Das Einfahren in Budapest ist recht witzig. Mit dem Donaustrand und den ganzen Buden erinnert es mich ein wenig an den Rheinstrand von Mainz. Doch hinter der nächsten Brücke hat mich die Stadt dann fest im Griff und es wird hektisch. Nach gut sieben Tagen der Ruhe und dem Genießen der Landschaft stehe ich auf einer achtspurigen Straße. Ein Traum! … Ich will jetzt nur noch ankommen.
Gegen 19:00 Uhr habe ich es dann auch geschafft. Ich dachte schon, den Platz gibt es gar nicht mehr.
Hinter einer Mauer habe ich ihn dann doch gesehen. Welch ein Glück. Mitten in der City. Direkt neben einem Krankenhaus. Inmitten deutscher Camper packe ich aus. Wie gut, dass Fahrräder keine Nummernschilder haben und niemand weiß, woher man kommt. Dann das bereits geübte Ritual: Zelt aufbauen, duschen, Supermarkt. Zwei Minuten vor 20 Uhr betrete ich den Coop und hetze da durch. Klappt aber alles. Ich gehe heute etwas früher ins Bett. Irgendwie bin ich kaputt – aber zufrieden und glücklich. Morgen früh geht es heim.
PS: Der Wirt des Campingplatzes möchte meinen Ausweis als Pfand behalten. Netter Versuch. Von mir gibt es nur den Führerschein, denn den brauche ich im Moment am allerwenigsten.
Kilometer-Stand: 931,4
Tag 9: Von Budapest nach Esztergom / Györ
Erster Versuch
Früh am Morgen stehe ich auf. Um 8:00 Uhr kann ich den Platz verlassen. Dann ab zum Bahnhof. Auf Frühstück verzichte ich zur Feier des Tages. Am Bahnhof angekommen, traue ich meinen Augen nicht. Vor dem Bahnhof liegen Hunderte Menschen. Flüchtlinge. Ein Kollege hat es mir wohl geschrieben und angekündigt – ich habe die Situation aber gnadenlos unterschätzt. Super. Ich steig mal lieber ab und schiebe das vollgepackte Rad durch die Massen.
Im Bahnhof sieht es noch schlimmer aus. Und die olfaktorische Wahrnehmung ist noch viel schlimmer. Drinnen ist auf jeden Fall kein Durchkommen. Ich sehe einen Zug, habe aber keinen Plan, wie ich da hinkomme. Raus und ab auf die Stirnseite des Bahnhofs. Treppen. Das wird nix. Ab auf die Rückseite. Busse und Polizisten. Ich stelle mich erstmal auf die Seite und beobachte das Treiben: Ein Pulk Menschen strömt aus dem Bahnhof. Ein paar werden rein gelassen. Das Prinzip ist mir nicht ganz klar. Ein Flüchtlings-Trupp wird zu einem Bus geführt, eine Frau bricht zusammen. Die Polizisten sind nicht zimperlich. Eindrücke, die man so schnell nicht vergisst. Ich konzentriere mich wieder aufs nach Hause kommen. So wittere ich meine Chance und gehe an die Tür, nachdem kaum noch jemand da ist. Die Tür wird jedoch von Polizisten zugehalten. Also nehme ich Kontakt mit den Augen auf und gestikuliere. Ich versuche den Herrschaften klar zu machen, dass ich da rein möchte. Sie schütteln den Kopf. Das Ganze üben wir noch zweimal, dann gebe ich auf. Ich brauche einen anderen Plan. Es ist Dienstag. Ich schaue auf mein Ticket, welches Gültigkeit für Mittwoch hat. Darauf hätte ich verzichtet und mir ein neues geholt – jetzt bin ich froh, dass ich es habe. Mein Zug fährt Mittwoch planmäßig von Budapest nach Regensburg zurück – über Györ. Rechne rechne. Das ist weit. Zu weit für einen Tag. Knapp 200 km. Das Garmin Navi hat noch 73% Akku-Kapazität, das Handy 23%.
Zweiter Versuch und Plan B: Erst mal raus aus der Stadt
Am Stadtrand kaufe ich noch etwas zu trinken und etwas zu Essen. Dann suche ich mir ein Plätzchen und schmiede meinen Plan, Györ zu erreichen. Mit dem Rad durchfahren? Keine Option. Der Akku vom Garmin wird schlappmachen, die Powerbank hat auch keinen Saft mehr. An manchen Stellen werde ich den Garmin brauchen, schließlich habe ich mich ja schon mal verfahren. Wo fahren also die nächsten Züge ab? Der nächstgelegene Bahnhof: Vac. Keine Option, denn die Bahn-App verrät mir, dass der Zug zurück nach Budapest fährt. Esztergom? Hat laut Karte einen Bahnhof. Laut App fährt ein Zug von Esztergom nach Komarom und von dort aus nach Györ. Einziger Haken: Die Uhrzeiten: 06 Uhr irgendwas und 16 Uhr irgendwas. Ich entscheide mich für die 16 Uhr Variante, auch wenn es bereits gegen 11 Uhr ist. Jetzt aber in die Pedale treten. Den Weg über die Fähren kann ich nicht nehmen, denn die Wartezeiten könnten mir den Zeitplan verhageln. Also nehme ich den Weg über die Bundesstraße. Es läuft. Nach einigen Kilometern verspüre ich jedoch wieder dieses komische teigige Gefühl unter dem Hintern. Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Absteigen. Fühlen. Puls steigt. Verdammt, ich habe doch keinen weiteren Schlauch dabei. Also: Pumpen. Bei über 35°. Eine Ladung Luft hält immerhin zwischen 8 und 10 km. Angestachelt, den 16 Uhr Zug zu erreichen, lege ich zwischenzeitlich die schnellsten bis dato gefahrenen 40km hin. Zumindest behauptet der Garmin das. Glauben wir ihm mal, denn das motiviert. Kurz vor Esztergom verlässt mich jedoch die Kraft. Ziel in Sicht, komplett verausgabt und dann auch noch Gegenwind. Ich könnte gerade alles in die Ecke schmeißen. Dann irre ich durch die Stadt. Ich kenne das doch alles und doch finde ich mich nicht zurecht. Irgendwann finde ich eine Stichstraße. Und? Schienen! Und einen Bahnhof! Rettung naht. Direkt neben dem Suzuki Werk. Was die hier nicht alles haben. Jepp, hier fährt mein Zug. Rein in den Bahnhof. Ein Info-Schalter. Eine Frau. Folgender Dialog:
Ich: Hello, do you speak English?
Dame am Schalter: No.
Ich: Well I need a ticket for me and my bike to Györ.
Dame am Schalter: Györ?
Ich: Yes, Györ. Visa?
Dame am Schalter: Yes.
Kaum was gesprochen und doch so viel gesagt und für wenige Euro halte ich später meine Tickets in der Hand.
Dann guck ich mal, wo mein Zug abfahren könnte. Ein Bahnhof. Fünf Gleise. Keine Zahlen. Na super. Ich versuche, ein System zu erkennen. Gelingt mir aber nicht. Da steht ein Zug. Ich laufe vor, ich laufe zurück und stelle fest, dass dieser nicht nach Komarom fährt. Also betrete ich die Leitstelle vom Bahnhof. Ein netter Herr (wenig Haupthaar dafür umso mehr Bart) kommuniziert mit mir auf Englisch. Ich frage ihn, von welchem Gleis der Zug nach Komarom fährt. Er sagt: 2. Das wusste ich schon, aber egal. Er ist irgendwie hektisch, schnappt sich eine Metall-Tafel und hängt sie an die Wand. Dann zeigt er ganz stolz auf die manuelle Uhr und auf die Zahl zwei. Ich bedanke mich brav. Dann warte ich etwas und dann kommt was. Das habe ich schon mal gesehen.
Ich gehe hin. Ich frage eine Dame, ob das der „Zug“ nach Komarom sei. Sie antwortet, dass sie es nicht wisse und verschwindet. Frustriert entpacke ich mein Faltrad, schmeiße erst die Sachen in den Zug, dann hebe ich das Rad rein und in dem Moment tippt mir die Dame, die eben noch weglief auf die Schulter und sagt, dies sei der richtige Zug. Na bitte, geht doch. Mit ganzen 45 km/h geht es durch die Pampa und ich kontrolliere die Stationen auf der Radkarte. Schließlich kann ich mir keinen Fehler erlauben. Aber alles passt und ich komme in Komarom an. Am Gleis gegenüber fährt just in dem Moment der Zug nach Györ ab. Eine Stunde warten – egal, Hauptsache ich komme an. Kurze Zeit später hält ein Zug. Aus Budapest? Wie geht das denn?! Ich habe zwischenzeitlich erfahren, dass der Bahnhof in Budapest wohl gesperrt war / ist. Das erklärt auch die Ereignisse vom Morgen. Aus dem Zug steigen ungefähr 50 Flüchtlinge. Sie alle versammeln sich auf meinem Bahnsteig. Dann kommt irgendwann der Zug. Ich komme meinem Ziel näher. In Györ angekommen, muss ich die Kleine erst mal wieder aufpumpen. Dann geht es schnurstracks durch die Stadt und wieder ab zum Campingplatz. Bezahlen, duschen, einkaufen, essen. Man bin ich fertig. Dann kommt eine holländische Frau auf mich zu und fragt mich, ob sie mich nebst Familie mit ihren Gesprächen stören würde. Nö! Wieso auch?! Wir kommen ins Gespräch. Sie fragt, was mich herführt. Ich erzähle ihr meine Geschichte. Sie erzählt mir, dass sie nebst Enkel am Folgetag nach Budapest möchte, da ihr Mann von dort stammt. Ich wünsche ihnen nur viel Glück. Ich schlafe tief und fest.
Am nächsten Tag geht es heim. Ich schlafe aus, ich lese im Garten und kurz nach 14 Uhr sitze ich im Zug. Perfekt! Eine Reise mit Finale!
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