Radtour am Mauerweg

Der Mauerweg - Ende April 2018 habe ich mit einem befreundeten Ehepaar eine Radtour auf dem Berliner Mauerweg unternommen. Ginge es rein um die technischen Daten der Radtour auf dem Mauerweg, so könnte ich den Bericht an dieser Stelle beenden, denn alles wissenswerte über den Mauerweg kann ja im Internet nachgelesen werden.

Da ich aber durchaus Lust habe, noch etwas zu schreiben, gestalte ich diesen Bericht etwas anders, als ihr es vielleicht bisher von mir gewohnt seid. Ich werde die Reise und damit das für mich Wesentliche, nämlich meine damit verbundenen Emotionen und Sichtweisen, etwas mehr in den Vordergrund stellen.

Im Jahr 2013 habe ich bereits einen Teil vom Mauerweg mit dem Fahrrad erkundet. Anfang diesen Jahres entstand bei einem Telefonat die Idee, den Mauerweg zu komplettieren und die Teilstrecken zu fahren, die wir bisher noch nicht gesehen haben. Gesagt, getan, gebucht. Den Anreisetag nach Berlin habe ich mir noch mit einem Besuch bei der Fertigung meines Tiny House verplant und habe mich am Abend mit dem befreundeten Ehepaar in der Unterkunft getroffen, einem evengelischen Diakonieverein. Im Jahr 2013 wurden die Räumlichkeiten noch renoviert. In diesem Jahr waren sie fertig und ich muss gestehen, dass ich knapp fünf Jahre später einiges mit anderen Augen sehe. So hat mir die aufgeräumte und entspannte Einrichtung des Zimmers wahnsinnig gut gefallen. In meinem Zimmer habe ich relativ deutlich sehen können, was mich momentan sehr bewegt: wieviel brauche ich, um glücklich zu sein? Worauf kann und worauf sollte ich verzichten, um zur Ruhe zu kommen? Die Antwort habe ich abschließend noch nicht gefunden, denn meine Reise ist ja noch in vollem Gange.




Zurück zum Mauerweg. Zum Weg und der damit verbundenen Mauer habe ich aufgrund meiner Herkunft ein dezent angespanntes Verhältnis. Wäre diese Mauer nicht gefallen, sähe die Welt heute mit Sicherheit ganz anders aus. Wie? Das vermag ich nicht zu beurteilen. Vielleicht wäre es mir nie möglich gewesen, meine Nase auf die andere Seite der Mauer zu stecken. Vielleicht gäbe es immer noch eine geringe Auswahl möglicher unverfänglicher Reiseziele und womöglich würde mein Nachbar immer noch aufschreiben, was ich gerade mache. Diese Gedanken begleiten mich auf dem Mauerweg permanent, denn dieser Weg ist meines Erachtens ein Weg voller lebendiger Geschichte. Die deutsch-deutsche Teilung ist an dieser Stelle für mich besonders greifbar und gleichzeitig ist es für mich unbegreiflich, wie man eine Mauer wie ein Keil durch eine Stadt treiben kann und damit Ost und West voneinander trennt. Staaten, Regionen, Wirtschaft und vor allem Menschen. Mitten hindurch: durch Straßenzüge, durch Grünanlagen, Flüsse, Seen, Wälder. 

Ich kann die Spuren sehen doch will mein Kopf das alles nicht verstehen. So wird auf dieser Fahrt durchaus kontrovers über die Geschichte diskutiert. Ja, die Situation nach 1945 führte dazu, dass reihenweise Menschen vom Osten in den Westen abwanderten. Und ja, es gab vieles, was den Osten auch sympathisch gemacht hat. Die Betreuung der Kinder war mit Sicherheit eines der positiven Merkmale. Diese Betreuung in Form einer militär-ähnlichen Ausbildung (Pionier / FDJ) zu packen ist diskussionswürdig. Einen Mangel hat der DDR-Bürger immer mit Improvisation beseitigen können. Womöglich eine Fähigkeit, die uns in der heutigen Überflussgesellschaft abhanden gekommen ist. Zusammenhalt wurde damals in den Hausgemeinschaften groß geschrieben. Nicht nur, weil es ein Substantiv ist sondern auch, weil man nie wusste, wer welche Informationen über einen beim Ministerium für Staatssicherheit preisgibt. Natürlich leben wir heute auch in einer überwachten Welt. Die Spur desjenigen, der mit Karten anstatt Bargeld zahlt, kann relativ leicht nachverfolgt werden. Wer sich an öffentlichen Plätzen bewegt, muss damit rechnen, gefilmt zu werden. Wer ein Smartphone besitzt, erstellt fast wie von Geisterhand ein Bewegungsprofil. Sprachassistenten sitzen in den Wohnungen und belauschen alles, was gesprochen wird. Und da zeigt es sich doch: ich mache all das freiwillig und nicht, weil der Staat mich bewacht und mich davon abhalten will, das Land zu verlassen. Das Buch "Ich war Staatsfeind Nr. 1" von Wolfgang Welsch hat mich da wohl nachhaltig geprägt. Für jeden, der die Geschichte des Landes aus den Augen eines Mannes lesen möchte, der den Staat verlassen wollte, sehr lesenswert.

Der Mauerweg bringt mich immer wieder zum Nachdenken und offenbart mit jedem Meter seine Gegensätze. Habe ich eben noch die Vorstellung im Kopf gehabt, wie eine Stadt, ein Land, eine Staatengemeinschaft getrennt war, zeigt sich der Weg sofort von seiner besten Seite, indem ich unter einer Allee von blühenden Kirschbäumen hindurch fahre. Wird die Geschichte in der Bernauer Straße beinahe zum Anfassen beklemmend, so spüre ich ein paar Meter weiter am Mauerpark das pure Leben, in dem viele Menschen auf einen gut besuchten Markt strömen und vor dessen Toren Musik gespielt wird. Das Stadtbild wandelt sich meiner Meinung nach nirgends so schnell, wie in Berlin. Eben noch in Berlin Mitte, fahren wir kurze Zeit später am Wasser entlang. Grünflächen schließen sich an dicht bebaute Flächen an und wenige Kilometer später sind wir raus aus der Stadt und im Speckgürtel von Berlin, jene Stadtteile, die Berlin zu Berlin machen. Hier ist es grün, die  Straßen sind holprig und es gibt viele kleine ansehnliche und manchmal auch improvisierte Häuser. Es geht durch rieseige Grünanlagen, beinahe Felder und Wälder. Grenztürme sowie Hinweistafeln sind heute stumme Erinnerer an das, was bis 1989 geschah. Und immer wieder bin ich beeindruckt davon, dass man die Mauer noch erahnen sie aber nicht mehr sehen kann, denn Mensch und Natur haben die Mauer unter sich begraben.

Mein Brompton rollt über den Mauerweg, als wäre er nie etwas anderes als ein Weg zum Wandern und Radfahren gewesen. Die Anreise mit dem kleinen Filtzer und der Bahn war übrigens sehr entspannt. Ich komme dieses Mal mit dem kleinen Falter sowie der Tasche am Gepäckträgerblock klar. Mehr habe ich nicht dabei und so beschleicht mich während der Fahrt eine gewisse Leichtigkeit und der Gedanke, ich könne doch all meine Touren in Zukunft mit dem Brompton radeln. Zusätzliches Gepäck, wie mein Zelt und mein Feldbett nebst Schlafsack bekomme ich sicherlich auch in einer weiteren Tasche unter. Doch dann kommt mir der Weg mit seinen unterschiedlichen Oberflächen in die Quere. Auf Asphalt ist alles bestens. Auch fest gefahrene Waldwege sind kein Problem. Nur die teils sehr holprigen mit kleinen und großen Steinen gepflasterten Wege lassen den Wunsch nach meinem Reiserad aufkommen. So bleibt meine Radaustattung erst mal so, wie sie ist, denn so wie sie ist, ist sie gut. Genauso wie es gut ist, dass die Mauer weg ist und an ihrer Stelle ein Weg die Vergangenheit erfahrbar macht und somit nicht einfach ausgelöscht ist.

Wegen der Menschen, die mich auf dem Weg begleitet und zum Nachdenken angeregt haben, habe ich gute Erinnerungen an diese Reise. Das ist für mich der Kern einer Reise: Menschen, die mich begleiten. Auf meinem Weg. Egal wohin er führt. Dazu bedarf es keiner Mauern.

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